Karin Schwarzbek, Jonas Etter

Karin Schwarzbek, Jonas Etter

Ausstellung

Künstlergespräch 27. Sept. 11.00

Karin Schwarzbek (geb. 1969) und Jonas Etter (geb. 1981) gehen mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln und Wahrnehmungsansätzen der Frage nach, in welchem Verhältnis Kunst und Wirklichkeit zueinander stehen.

Im Zentrum von Karin Schwarzbeks Untersuchungen steht die Frage der Abbildbarkeit von Wirklichkeit: Welche Ordnungsvorstellungen stehen den Bildern zugrunde und auf welche Weise bestimmen sie, wo Wirklichkeit beginnt? Welche Sehzuwendungen ermöglichen sie? Die Reduktion auf Einsprengsel der sichtbaren Welt und der Verzicht auf narrative Inhalte lenkt den Blick auf die Verdinglichung des Bildes, auf eine Verwesentlichung, die auch bildimmanente Reflexionen miteinschliesst. Mit diesem Vorgehen greift Karin Schwarzbek die seit Ende des 19. Jahrhunderts geführte Debatte auf, inwiefern ein Bild von seiner Aufgabe «befreit» werden muss, klassische Gattungen wie beispielsweise das Portrait oder bestimmte theologische, mythologische oder philosophische Evidenzen zu vermitteln. Dieses Vorgehen schliesst auch eine Untersuchung der malerische Handlung sowie eine Auseinandersetzung, ja physische Reibung, mit dem Bildkörper ein. Mit archäologischer Akribie untersucht die Künstlerin den malerisch-handwerklichen Prozess – das Auf- und Abtragen von Farbe, das Spannen der Leinwand –, welcher auf die Interferenz zwischen körperlichem Bildträger (Chassis, Leinwand, Farbe) und abbildlichen Konnotationen der sichtbaren Welt verweist. Die malerischen Untersuchungen von Karin Schwarzbek rufen Maurice Denis’ (1870–1943) bekannte, immer noch aktuelle Klarstellung in Erinnerung, dass «ein Gemälde, bevor es ein Schlachtross, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist, im wesentlichen eine plane, von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberfläche ist.»

Jonas Etter spannt den Bogen zur Frage, in welchem Verhältnis Kunst und Naturwissenschaft zueinander stehen. Mit der Zündung von Materialien, die sich gegenseitig fremd sind und einer Setzung der Zufallsästhetik verweist er auf die Störung der Form, die zu einer nicht kontrollierbaren Mischung von Wirklichkeitspartikeln führt. Jonas Etters Arbeiten zeigen, dass die Dinge und Formen der sichtbaren Welt in einem unendlichen, sich ständig transformierenden Beziehungsgeflecht stehen, welcher sich einer wissenschaftlichen Verabsolutierung entzieht. So kann das Zerfliessen und Zergehen der Materie als existentielle Erfahrung wahrgenommen werden, die uns vor Augen führt, dass alles unsicher, wackelig und weich, kurz: unvorhersehbar ist. Der Veranschaulichung von wissenschaftlichen Gesetzmässigkeiten – und damit des Anspruchs auf Wahrheit – setzt Jonas Etter auf humorvolle, spielerische und direkte Weise entgegen, dass Realität nicht wie ein Puzzle oder Kreuzworträtsel gesetzhaft-mathematisch geknackt werden kann, sondern intuitive, ja gar irrationale Momente miteinschliesst. Damit wird deutlich, dass auch die sogenannten «exakten Wissenschaften» mit ihrem Bestreben nach Objektivierung die Unabschliessbarkeit der Welt nicht zu fassen vermögen.

Rudolf Velhagen


Aargauer Zeitung, 12. Sept. 2015

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