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Christian Rothacher (1944 – 2007)

Retrospektive (1944 – 2007)

Christian Rothacher, der neben mehreren Auslandsaufenthalten mehrheitlich in Aarau lebte, zählte in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu den Protagonisten der jungen Schweizer Avantgarde. Sein vielschichtiges Werk, welches er während vier Jahrzehnten schuf, besticht noch heute durch eine grosse Eigenständigkeit, Poesie und Vielfalt seiner künstlerischen Ausdrucksmittel (Objektkunst, Malerei, Zeichnung, Linoldruck und Fotografie).

Rothacher bezog nach seiner Lehre als Schuhkreateur bei Bally in Schönenwerd und einem von 1964 bis 1967 absolvierten Studium an der Kunstgewerbeschule Zürich (F+F) ehemalige Fabrikräume am Ziegelrain in Aarau. Dieser legendären, bis 1975 bestehenden losen Ateliergemeinschaft, zu der auch Heiner Kielholz, Max Matter, Markus Müller, Hugo Suter, Josef Herzog und Jakob Nielsen zählte, widmete das Aargauer Kunsthaus 2006 die Ausstellung «Ziegelrain ’67- ’75», zu der eine umfangreiche Publikation erschien.

Christian Rothacher erprobte Ende der 60er Jahre den Ausstieg aus dem Bild und begann auch mit Materialien wie Naturholz, Ästen, Fell und Leder zu arbeiten. Diese Materialien bezeugen sein wachsendes Interesse für die Natur. Dem frei Fliessenden der Naturformen setzte Rothacher oft hart geschnittene «Kulturformen» entgegen: Form und Anti-Form erscheinen bei Rothacher in einem Kräftespiel.

Die künstlerische Umsetzung von Arbeitsutensilien wie Malerpalette, Pinsel oder Meter in seinem Werk verweisen auf Rothachers Beschäftigung mit dem Künstlersein in der heutigen Gesellschaft. Diese Beschäftigung umfasste auch die Frage, ob Kunst autonom sein soll oder sich vielmehr mit den «grossen Lebensthemen» auseinandersetzen muss.

Sein Hauptwerk «Fontana, der als Erster durch die Leinwand gesprungen ist; uns bleiben die Feuerringe» von 1978 (Leinwand, Messing bemalt, Holz, Sägemehl, ca. 44 x 73 x 63 cm) steht auch für seine Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und reflektiert die Schwierigkeit, als Künstlerin oder Künstler ständig Neues zu erfinden. Dieses Werk bezeugt zudem auf kritische und humorvolle Weise das Verhältnis zwischen Künstler und Öffentlichkeit. Das Werk gab auch den Titel für die Künstler-Monografie «Uns bleiben die Feuerringe», Aargauer Kunsthaus Aarau, die 2011 begleitend zur grossen, von Stephan Kunz kuratierten Retrospektive erschienen ist (Verlag Scheidegger & Spiess).

Den scheinbar disparaten Werkgruppen gemeinsam ist ein «Element der Verweigerung» (Uli Däster). Die Verweigerung besteht bei Rothacher vor allem darin, die Realität als etwas Gegebenes zu akzeptieren oder die Erwartungen des Kunstmarkts zu bedienen. Gemeinsam ist ihnen weiter ein ausgeprägtes Sensorium für eine Welt, die Menschen und Objekte konsumiert und verschleisst. Rothacher stellt dieser Haltung Werke mit höchster handwerklicher Perfektion und Lebendigkeit entgegen, wie die farbigen Papierintarsien und Aquarelle besonders eindrucksvoll bezeugen. Gemeinsam ist den Werkgruppen schliesslich auch ihre Mehrdeutigkeit und damit die Herausforderung an den Betrachtenden, sich auf gedankliche Experimente, auf Spiel und Bildwitz einzulassen, wie beispielsweise die in den letzten Schaffensjahren entstandenen Festtagsaufschnitt-Fahnen sowie seine Fotografien von Schnittfleisch oder Rissen im Asphalt bezeugen.


Kunstbulletin 6/2015

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Aargauer Zeitung, 5. 6. 2015

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